11. BoudoirDelicious: Trotz modernster Verhütungsmethoden stagniert die Zahl der ungewollten Schwangerschaften seit den 1990er Jahren. Wo sehen Sie Handlungsbedarf?
Mag. Elisabeth Parzer: Tatsächlich gibt es eine noch nie dagewesene Vielfalt an wirksamen Verhütungsmethoden. Auch der Zugang zu den Methoden und dem Wissen über deren Anwendungsweise ist so leicht wie nie zuvor. Somit verwundert es auf den ersten Blick, dass die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche seit den 1990ern stagniert.
Nun muss einerseits die Überlegung ins Treffen geführt werden, dass Frauen im Zuge der zunehmenden Enttabuisierung und Professionalisierung des Abbruchs und einem wachsenden Ideal an Planbarkeit von Lebensereignissen möglicherweise eher abbrechen als früher. Ferner ist seit ein paar Jahren ein unerwartetes Phänomen zu beobachten, dass viele Frauen der Einnahme von Hormonen, welche vor 50 Jahren als Befreiung von Frauen gefeiert wurde, zunehmend skeptisch gegenüberstehen bzw. deren Einnahme ablehnen.
In erster Linie beobachte ich diese Entwicklung mit großem, persönlichem und auch wissenschaftlichem Interesse. Während hormonelle Verhütungsmethoden um 1960 vor allem im Sinne der Selbstbestimmung eingenommen wurden, werden sie heute im Sinne der Selbstbestimmung oftmals abgelehnt. Dem zugrunde liegen unterschiedliche Vorstellungen und Bilder. Um 1960 dominierte das Bild von der Pille als begrüßenswerte technologische Entwicklung, die es ermöglicht, sich von den biologisch auferlegten Zwängen zu befreien. Heute gelten Hormone vielmehr als eine potenzielle Manipulation der inneren, als frei, natürlich, authentisch und gut vorgestellten Abläufe.
Kritisch an der Entwicklung sehe ich, dass mit der Ablehnung von hormonellen Verhütungsmitteln tendenziell zu weniger wirksamen Methoden gegriffen wird. Den praktischen Pearl-Index betrachtet, muss festgestellt werden, dass hormonelle Verhütungsmittel, abgesehen von der Sterilisation, deutlich wirksamer sind als alle hormonfreien Methoden. Diese Information sollte meines Erachtens medial wie auch im pädagogischen und medizinischen Feld ehrlich und klar kommuniziert werden.
Zugleich, und dies erscheint mir wesentlich, muss zur Kenntnis genommen werden, dass für die Verhütungspraxis nicht allein faktische Aspekte wie die statistische Wirksamkeit ausschlaggebend sind. So z.B. spielt für Frauen hormonfreie Verhütung eine entscheidende Rolle für die Aushandlung von Geschlechterverhältnissen, wie sich in einer meiner Studien herausstellte. Das Kondom z.B. dient für eine breite Gruppe von Frauen als Mittel, mit dem die Beteiligung des Partners an der Verhütung gewährleistet werden kann und somit die Gleichstellung zwischen Männern und Frauen gefordert wird. Diesen impliziten Gründen für die eine oder andere Verhütung nachzugehen, sie zu akzeptieren und respektieren, erachte ich als wesentlich. Nicht primär mit dem Ziel, die Zahl der Abbrüche zu reduzieren, sondern um einen neuen Akzent im Diskurs über ungewollte Schwangerschaften anzuregen, der weder belehrt, bevormundet noch ein schlechtes Gewissen macht, sondern die Frau als eigenständige Person in ihren Wünschen, Vorstellungen, Bedürfnissen und in ihrer Fähigkeit, Entscheidungen für sich zu treffen, anerkennt.
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