Historische Aspekte der Verhütung

Verhütung

Werbung// Wenn ich an Verhütung denke, dann kommen mir sofort zwei Dinge in den Sinn: Pille und Kondom. Ich als 1970er-Jahrgang war eine typische Pillennutzerin und ich kam nie auf die Idee, etwas anderes für die Verhütung zu nutzen. Es ist nicht so, dass ich nicht wusste, dass es noch andere Verhütungsmethoden gab, aber für mich habe ich das nie in Betracht gezogen. Seltsam, denn es gab Alternativen, um eine ungewollte Schwangerschaft zu vermeiden. Mein Nutzerverhalten war wohl daran gekoppelt, dass ich durch die Pille versucht habe, meinen Monatszyklus in den Griff zu bekommen, der seit meinen frühen 20er-Jahren so gut wie nie regelmäßig kam. Durch die Myome auf und in der Gebärmutter trat meine Menstruation immer so heftig auf, dass ich alle möglichen Pillen genommen habe, um das in den Griff zu bekommen. Am Ende hat es nichts genutzt und ich habe mir vor über drei Jahren die Gebärmutter entfernen lassen und führe seitdem ein glückliches kinderfreies Leben.
Das bedeutet zwar, dass Verhütung für mich persönlich keine Rolle mehr spielt, aber es genügend Leser/-innen gibt, für die das sehr wohl ein Thema ist. Deshalb habe ich sofort zugesagt, als ich eine Einladung für eine Pressekonferenz erhielt, bei der ein neuer  Verhütungsring vorgestellt wurde. Spannendes Thema, welches von Dr. Baumgartner vorgetragen wurde. Mit ihm wird diesbezüglich in Kürze noch ein Interview folgen. Im Vorfeld der Produktvorstellung gab es einen beeindruckenden Vortrag von Mag. Elisabeth Parzer, Mitarbeiterin des Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch in Wien über die Geschichte der Verhütung und Abtreibung. Ich saß staunend vor ihr und konnte nicht glauben, wie wenig ich geschichtlich über das Thema wusste und mir wurde klar: Mit ihr muss ich noch einmal ausführlicher sprechen!

1. BoudoirDelicious: Vor über 100 Jahren war das Sprechen über Verhütung eine Straftat. Mit welchen Strafen musste man rechnen? Wurden Männer und Frauen gleichermaßen bestraft? Wer hat diese Gesetze gemacht und mit welcher Intention?

Mag. Elisabeth Parzer: Verhütung und Abbruch waren verboten, schließlich wollte der Staat Soldaten, Steuerzahler und Arbeiter. Gleiches gilt für die Kirche, die sich damals noch stark in Staatsangelegenheiten einmischte: Sie brauchte Nachwuchskleriker und sie war natürlich auch auf die ‚Spenden‘ ihrer ‚Schäfchen‘ angewiesen. Die Beschaffung von Verhütungsmitteln und die Verbreitung von Wissen über Verhütung wurden erschwert und kriminalisiert. Verboten war v.a. die Anpreisung von Verhütungsmitteln. Es durften erst nur an bestimmten Orten, später dann keine Kondomautomaten aufgestellt werden. Auch die Werbung und der Verkauf von Schwämmchen oder Scheidenspülern, die einen eindeutigen Zweck erfüllten, war verboten, weshalb man dazu überging, Tarnnamen für diese Artikel zu verwenden (‚Frauenhygiene-Artikel‘, ‚Spülungen zur Reinigung und zur Vorbeugung bestimmter Krankheiten‘).

Gleiches gilt für aufklärende Ratgeber, die Namen erhielten wie z.B. ‚Eheratgeber‘, ‚Ratgeber zur Ehehygiene‘. Verfolgt wurde dies zumeist mit Freiheitsstrafen. 1913 z.B. wurde eine Wanderpredigerin, die sich in Deutschland für die Selbstbestimmung der Frau über ihren Körper einsetzte und im Zuge dessen einen Lichtbildvortrag zur Empfängnisverhütung abhielt, zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Während der NS-Zeit wurde die unerlaubte Anwendung von Verhütungsmitteln auf Grundlage Heinrich Himmlers Polizeiverordnung (1941) mit sechs Wochen Haft oder 150 Reichsmark Geldbuße bestraft.

In den USA gab es das sogenannte Comstock-Gesetz: 1873 gründete der amerikanische Politiker Comstock das ‚New York Society for the Suppression of Vice’ – Institut, das die Lasterhaftigkeit der Bevölkerung überwachen sollte. Im gleichen Jahr verfasste er ein Gesetz, das die Verbreitung von obszönem, unmoralischem Material untersagte. Darunter fielen vor allem Informationen über Geburtenkontrolle und Familienplanung. Auch einige anatomische Arbeitsbücher für Medizinstudenten wurden verboten.

Nicht alle ließen sich vom sogenannten ‚Comstock-Gesetz‘ einschüchtern. Bekannte Frauenrechtlerinnen verbreiteten weiterhin Informationsbroschüren über Geburtenkontrolle, was Comstock zur Verfolgung und Verhaftung u. a. von Margaret Sanger, Victoria Woodhull, Ida Craddock und Emma Goldman veranlasste. Gegen Ende seines Lebens war Comstock für ca. 4000 Verhaftungen verantwortlich.

2. BoudoirDelicious: Wie konnten sich die Menschen in dieser Zeit über Verhütung informieren? Und vor allem, wie Verhütungsmittel besorgen, wenn man nicht darüber sprechen durfte?

Mag. Elisabeth Parzer: Eine wichtige Rolle spielten zunächst mündliche Tradierungen und die Weitergabe von Erfahrungswissen von Frau zu Frau, die Expertise von Hebammen und Engelmacherinnen und nach und nach auch Gesundheitsratgeber und Eheratgeber bzw. Aufklärungsbroschüren. Trotz Strafandrohungen kam es zunehmend zur Verbreitung sogenannter „unsittlicher Schriften“. Eine der bekanntesten Gesundheitsratgeber von Friedrich E. Bilz erfreute sich um 1900 bereits über ca. eine Million verkaufter Exemplare. Verhütung wird darin im Kapitel ‚Frauenkrankheiten‘ explizit thematisiert, einzelne Methoden hinsichtlich ihrer Wirksamkeit abgewogen und ihre Anwendungsweise mit Abbildungen demonstriert. Auch wird darauf verwiesen, wo die Mittel zu erwerben seien, so z.B. bei Friseuren, Bandagisten und über die Versandhandlung.
Den Ausgang für eine Vielfalt an populär-medizinischen Ratgebern nahm „Die Frau als Hausärztin“ von der Ärztin Anna Fischer-Dückelmann. Zwar verwies sie auf die ‚Unsittlichkeit‘ von künstlichen Mitteln zur Verhinderung von Schwangerschaften, gab aber im Weiteren dennoch eine Beschreibung verschiedenster Methoden.
Neben den schriftlichen Werken kam weiterhin der Wissensvermittlung durch Hebammen und Vortragsveranstaltungen eine zentrale Bedeutung zu. Am Anfang der 20er Jahre öffneten in Deutschland mehrere Sexualberatungsstellen, die allerdings in den 30er Jahren mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus wieder schließen mussten. Auch dort fanden Frauen Zugang sowohl zu Verhütungsmitteln als auch zu Information.

3. BoudoirDelicious: Nachdem es nicht mehr unter Strafe stand, wie wurde Aufklärung betrieben und wie wurden auch Menschen in den ländlichsten Regionen erreicht?

Mag. Elisabeth Parzer: Mittels Eheratgeber und auch Aufklärungsbroschüren. Beate Uhse nahm in diesem Zusammenhang eine zentrale Stellung ein: Nach dem Zweiten Weltkrieg wäre für viele Frauen ein (weiteres) Kind eine Katastrophe gewesen, da ihre Männer in Kriegsgefangenschaft oder ohne Arbeit waren. Uhse erläuterte in einer kleinen Broschüre die Knaus-Ogino-Methode und ließ sie im Tausch gegen fünf Pfund Butter drucken. Die sogenannte ‚Schrift X‘ verkaufte sich binnen eines Jahres 32.000 Mal. Im Jahr 1951 gründete sie das ‚Versandhaus für Ehe- und Sexualliteratur und für hygienische Artikel‘. In Flensburg öffnete 1962 ihr erster Sexshop die Pforten. Dann kamen auch diverse Aufklärungsfilme auf, so z.B. jener von Oswald Kolle. Schließlich wurde auch in den Schulen Aufklärungsunterricht betrieben. In ländlichen Regionen war (und ist es teilweise noch) eher schwierig. Da sich in kleinen Orten die Frauen meist nicht trauten, sich ihrem Arzt, der sie und die Familie und alle im Ort kannte, anzuvertrauen. Jene, die wirklich Informationen wollten und brauchten, fuhren – sofern sie konnten – in einen anderen Ort oder die nächstgelegene Stadt.

4. BoudoirDelicious: Welche Verhütungsmethoden standen Menschen bis zur Entwicklung der Anti-Baby-Pille zur Verfügung und wie verlässlich waren sie?

Mag. Elisabeth Parzer: Eines der ältesten Verhütungsmethoden ist das Kondom aus Schafsdarm oder Fischblasen (um 1200 v. Chr.). Dabei wurde die Schwimmblase vom Fisch – bevorzugterweise vom Stör – ausgelöst, getrocknet und schließlich als Präservativ verwendet. Auch das Schafsdarmkondom, aus dem Blinddarm eines etwa 3 Monate alten Schafes produziert, erfreute sich großer Popularität. Problematisch daran war zu dieser Zeit vor allem der ökonomische Aspekt. Kaum eine/r hat vor jedem Geschlechtsverkehr einen Fisch gefangen oder ein Schaf erlegt, vielmehr wurde das bereits bewährt benützte Kondom erneut verwendet. Bestenfalls wurde das Kondom danach ausgewaschen, über ein sogenanntes Kondom-Trockengestell gestülpt, mit einem speziellen Puder gepflegt und im Falle, dass es ein Loch hatte, geflickt. Erst mit der Erfindung des Gummis durch Charles Goodyear in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden erstmals Latexkondome produziert, jedoch in einer Stärke von etwa 2 Millimetern und nicht ohne Nähte.

Weit verbreitet, aber keineswegs wirksamer oder angenehmer als geflickte Kondome, waren diverse Barrieremethoden, wie z.B. in säurehaltige Flüssigkeiten getränkte Schwämmchen oder ausgehöhlte Zitronenhälften, die sich Frauen in die Scheide bis vor den Muttermund einführten und hofften, den Spermien damit den Weg zu versperren und ihre Befruchtungsfähigkeit zu dämmen.

Das Bidet – das landläufig als für Hygienezwecke bekannte Badezimmermobiliar – zielte auf einen ähnlichen Wirkmechanismus ab. Besonders im 17., 18. und 19. Jahrhundert waren Scheidenspülungen – oftmals mit ätzenden Substanzen durchgeführt – en vogue und zeigten den verzweifelten Versuch, die Zahl der Schwangerschaften zu begrenzen. Auch Coca Cola wurde für Scheidenspülungen verwendet, als Bidet-to-go quasi.

Bezweifelt werden kann, ob die ersten Spiralen-Konstruktionen, die sogenannten Stiftpessare, einen Deut annehmlicher als bisher Genanntes waren. In die Gebärmutter etwas zur Gänze einzuführen, wagte man lange nicht. Schließlich fürchtete man, der Fremdkörper könnte im Körper verschwinden. Deswegen waren Spiralen bis ca.1930 halb intra- und halbextrauterin, d.h. sie steckten genau im Muttermund. Eine Hälfte lag in der Gebärmutter, die andere in der Scheide. Erst um 1930 traute sich ein Berliner Arzt, Ernst Gräfenberg, der Entdecker des G-Punktes, ein Pessar gänzlich in die Gebärmutter einzusetzen. Neben Stahl gab es damals allerdings kein Material, das für eine Spirale geeignet war. Erst in den 1960er Jahren wurde es möglich, Plastik zu formen. 1930 gilt als der Startschuss für die Entwicklung moderner Spiralen.

Mit der Entdeckung der fruchtbaren und unfruchtbaren Tagen im Jahre 1929 durch den Österreicher Hermann Knaus und den Japaner Ogino kam für Frauen die Möglichkeit hinzu, mittels Kalender die ‚gefährlichen‘ Tage einzuschätzen und so Einfluss auf die Zahl der Nachkommen zu nehmen. Die meisten Mittel jedoch waren nicht oder nur wenig wirksam, womit es weiterhin zu einer Vielzahl an ungewollten Schwangerschaften gekommen ist.

5. BoudoirDelicious: War Verhütung auch damals schon hauptsächlich Frauensache?

Mag. Elisabeth Parzer: Anhand der verfügbaren Methoden geht hervor, dass sich auch damals ein Großteil der Verhütung im Anwendungsbereich der Frauen befunden hat (Spülungen, Pessare, Diaphragmen, Schwämmchen,…). Jedoch war das Kondom – in allen möglichen Varianten und Ausführungen – mangels guter Alternativen ein häufig verwendetes und weit verbreitetes Mittel. Auch der Coitus interruptus war eine zentrale Methode mit der versucht wurde, die Zahl der Kinder einigermaßen im Zaum zu halten. Schließlich war es auch für Männer ganz wesentlich, dass die Zahl der Nachkommen die ökonomischen Verhältnisse der Familie nicht übersteigt. Dennoch waren Frauen mit letztgenannten Methoden dem Handeln (oder Nicht-Handeln) ihres Partners ausgeliefert.

6. BoudoirDelicious: Wie viele Schwangerschaften, Geburten und letztlich Kinder hatte durchschnittlich eine Frau in dieser Zeit?

Mag. Elisabeth Parzer: Am Anfang des 20. Jahrhunderts war in Deutschland etwa eine Zahl von 4 bis 6 Kindern pro Frau der Durchschnitt. Dabei muss allerdings von einer viel höheren Schwangerschaftsrate und einer ebenfalls höheren Geburtenrate ausgegangen werden. Schließlich war die Kindersterblichkeit in dieser Zeit noch sehr hoch, nicht zuletzt durch das bewusste Versterbenlassen von Neugeborenen durch sogenannte Engelmacherinnen. Im Laufe der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ging die Familiengröße auf 2 bis 4 Kinder zurück.

7. BoudoirDelicious: Welche Möglichkeiten hatten Frauen in dieser Zeit, wenn sie ungewollt schwanger wurden?

Mag. Elisabeth Parzer: Den Kindsmord, der bis 1900 weit verbreitet war, und die illegale Abtreibung. Bis etwa 1900 war der illegale Abbruch aufgrund fehlender technischer Möglichkeiten und der daraus resultierenden hohen Gefährlichkeit weniger üblich. Außerdem gab es kaum wirksame Verhütungsmethoden, weshalb es für Frauen oft wenig Sinn gemacht hat eine Schwangerschaft vorzeitig zu beenden – konnte sie doch sofort wieder schwanger werden. D.h. es war für Frauen damals naheliegender, eine ungewollte Schwangerschaft auszutragen und das Kind dann ‚in Pflege‘ zu geben. Es war bekannt, dass diese Kinder häufig verstarben und deshalb bekamen diese Pflegemütter im Volksmund den Namen ‚Engelmacherin‘. Dieses aktive Versterbenlassen von Kindern durch wenig Essen, ungenügende Kleidung etc. war strafrechtlich schwer zu verfolgen, zumal es durch die verbreitete Armut leicht auch anders zu erklären war.

Die illegale Abtreibung – durchgeführt oftmals von Hebammen, unqualifizierten Leuten und den Frauen selbst – wurde mittels unzähliger Methoden, häufig spät in der Schwangerschaft (4.-5. Monat), vorgenommen. Meist wurde versucht, mit einem spitzen Gegenstand, der in die Gebärmutter eingeführt wurde, den Fruchtsack anzustechen, um so einen Spontanabort bzw. eine Totgeburt auszulösen. Häufig verwendet wurden ‚unverdächtige‘ Instrumente wie z.B. eine Stricknadel, Fahrradspeichen oder Kleiderbügel. Manchmal wurden auch Substanzen durch den Muttermund in die Gebärmutter gespritzt (z.B. flüssige Seifen oder ätzende Flüssigkeiten), die zur Entzündung und ebenfalls zum Aufplatzen des Fruchtsacks geführt haben. Diese Methoden waren sehr gefährlich, weil sie unter unhygienischen Bedingungen durchgeführt wurden und weil mangels Professionalität häufig etwas anderes als der Fruchtsack angestochen wurde (Blutgefäße oder der Darm). Es kam häufig zu starken Blutungen oder Infektionen, an denen Frauen dann verstorben sind. Weiter wurden verschiedenste Kräuter und Pflanzen ausprobiert, um damit einen Abbruch herbeizuführen. Die meisten davon waren unwirksam oder gefährlich für die Frau.

8. BoudoirDelicious: Kindsmord war weit verbreitet. Frauen haben die Schwangerschaft versteckt, allein geboren und dann am Sonntag vergraben, wenn alle in der Kirche waren. Inwieweit waren die sogenannten Engelmacherinnen darin verwickelt und war Adoption keine Alternative?

Mag. Elisabeth Parzer: Engelmacherinnen waren Frauen, zu denen man ungewollte Kinder geben konnte und die dafür gesorgt haben, dass diese versterben. So ließen sie die Kinder meist verhungern oder legten sie an kalten Tagen oder in kalten Nächten nah an ein geöffnetes Fenster. Es war damals teilweise sogar institutionalisiert, dass Kinder ‚in Pflege‘ gegeben wurden. Auch eine finanzielle Entschädigung, das ‚Kostgeld‘, wurde dafür vorgesehen. Unausgesprochen wurde jedoch erwartet, dass diese Kinder bald sterben. Erst später führten Engelmacherinnen auch illegale Abbrüche durch. Für Frauen, die eine Schwangerschaft versteckten, war eine Adoption keine Option, zumal schließlich niemand erfahren sollte, dass sie (unehelich) schwanger sind.

Auf Kirchenfriedhöfen gab es meist einen kleinen Fleck unter der Dachtraufe, wo ungetaufte Kinder (weil im Mutterleib schon verstorben oder Totgeburten) begraben wurden: sogenannte Traufkinder. Besonders auf dem Land hielt sich der Glaube, dass die Weihung des kirchlichen Taufwassers durch den Priester auch das herabtropfende Regenwasser miteinschließen würde. Dem Regenwasser allgemein wurde besondere heilkräftige Fähigkeiten nachgesagt, kam es doch vom Himmel, aus unmittelbarer Nähe zu Gott. Vermutlich haben auch ungewollt schwangere Frauen ihre Kinder, die sie zuvor getötet haben, dort heimlich begraben.

9. Was für Auswirkungen hatte eine ungewollte Schwangerschaft auf Frauen, die unverheiratet waren?

Mag. Elisabeth Parzer: Uneheliche Schwangerschaft bedeutete für die betroffene Frau fast automatisch lebenslange Armut. Da es damals keine soziale Absicherung gab, konnten alleinerziehende Frauen wirtschaftlich kaum überleben.
In Ermangelung wirksamer Verhütungsmethoden versuchten Gesellschaften Frauen unter anderem auch deswegen von Sex (und damit Kindern) vor der wirtschaftlichen Absicherung einer Ehe abzuhalten, indem diese mit Ächtung, Schande und einen niedrigen Wert in der Gesellschaft bestraft wurden. Frauen, die unehelich schwanger waren, wurden teilweise verstoßen, ausgegrenzt und als ‚Huren‘ beschimpft. Uneheliche Kinder – landläufig auch ‚Bastard‘ oder ‚Niemandskind‘ genannt oder als ‚fleischgewordene Sünde‘ bezeichnet – wurden auf vielen Ebenen benachteiligt und fühlten sich durch den ‚Makel‘ der unehelichen Geburt oft ein Leben lang belastet. So z.B. wurden unehelich Geborene bis ins 19. Jahrhundert von vielen Handwerksberufen ausgeschlossen. Um als Lehrling angenommen zu werden, musste die eheliche Geburt durch entsprechende Urkunden und Zeugnisse nachgewiesen werden. Diese Regelungen sollte Menschen von ‚fleischlichem Verbrechen‘ abhalten und sie abschrecken.

10. BoudoirDelicious: 1929 wurden die „fruchtbaren Tage“ entdeckt. Bis dahin war jeder Geschlechtsverkehr ein potenzielles Risiko für eine Schwangerschaft. Wie hat diese Entdeckung das Leben der Frauen verändert?

Mag. Elisabeth Parzer: Ein großer Durchbruch gelang mit der Entdeckung der fruchtbaren Tage im Jahre 1929 durch den Japaner Ogino und den Österreicher Knaus. Frauen hatten damit erstmals eine Idee davon, wann sie im Zyklus schwanger werden können und wann nicht. Um 1900 z.B. galt die Auffassung, dass eine Frau jeden Tag im Zyklus fruchtbar sei. Durch die bahnbrechende Entdeckung um 1930 hatten Frauen erstmals eine verlässliche Grundlage, ihre fruchtbaren Tage zu berechnen und so die ‚gefährlichen‘ Tage zu identifizieren. Es wurde eine Vielzahl an Rechenbehelfen entwickelt, die dies erleichtern sollten. Auch der sogenannte Anti-Baby-Lippenstift kam auf den Markt. Er sollte mittels Speichel der Frau und einem eingebauten Mini-Mikroskop die fruchtbaren Tage identifizieren. Es wurde davon ausgegangen, dass sich der Kochsalzgehalt im Speichel je nach Zyklusphase verändere und sich entsprechend abbilde.
Für Frauen hatte diese Entdeckung insofern eine enorm wichtige Bedeutung, als damit ihr Handlungs- und Wissensspielraum maßgeblich erweitert und zudem die Grundlage zur Entwicklung hormoneller Verhütung geschaffen wurde.

11. BoudoirDelicious: Trotz modernster Verhütungsmethoden stagniert die Zahl der ungewollten Schwangerschaften seit den 1990er Jahren. Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Mag. Elisabeth Parzer: Tatsächlich gibt es eine noch nie dagewesene Vielfalt an wirksamen Verhütungsmethoden. Auch der Zugang zu den Methoden und dem Wissen über deren Anwendungsweise ist so leicht wie nie zuvor. Somit verwundert es auf den ersten Blick, dass die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche seit den 1990ern stagniert.

Nun muss einerseits die Überlegung ins Treffen geführt werden, dass Frauen im Zuge der zunehmenden Enttabuisierung und Professionalisierung des Abbruchs und einem wachsenden Ideal an Planbarkeit von Lebensereignissen möglicherweise eher abbrechen als früher. Ferner ist seit ein paar Jahren ein unerwartetes Phänomen zu beobachten, dass viele Frauen der Einnahme von Hormonen, welche vor 50 Jahren als Befreiung von Frauen gefeiert wurde, zunehmend skeptisch gegenüberstehen bzw. deren Einnahme ablehnen.

In erster Linie beobachte ich diese Entwicklung mit großem, persönlichem und auch wissenschaftlichem Interesse. Während hormonelle Verhütungsmethoden um 1960 vor allem im Sinne der Selbstbestimmung eingenommen wurden, werden sie heute im Sinne der Selbstbestimmung oftmals abgelehnt. Dem zugrunde liegen unterschiedliche Vorstellungen und Bilder. Um 1960 dominierte das Bild von der Pille als begrüßenswerte technologische Entwicklung, die es ermöglicht, sich von den biologisch auferlegten Zwängen zu befreien. Heute gelten Hormone vielmehr als eine potenzielle Manipulation der inneren, als frei, natürlich, authentisch und gut vorgestellten Abläufe.

Kritisch an der Entwicklung sehe ich, dass mit der Ablehnung von hormonellen Verhütungsmitteln tendenziell zu weniger wirksamen Methoden gegriffen wird. Den praktischen Pearl-Index betrachtet, muss festgestellt werden, dass hormonelle Verhütungsmittel, abgesehen von der Sterilisation, deutlich wirksamer sind als alle hormonfreien Methoden. Diese Information sollte meines Erachtens medial wie auch im pädagogischen und medizinischen Feld ehrlich und klar kommuniziert werden.

Zugleich, und dies erscheint mir wesentlich, muss zur Kenntnis genommen werden, dass für die Verhütungspraxis nicht allein faktische Aspekte wie die statistische Wirksamkeit ausschlaggebend sind. So z.B. spielt für Frauen hormonfreie Verhütung eine entscheidende Rolle für die Aushandlung von Geschlechterverhältnissen, wie sich in einer meiner Studien herausstellte. Das Kondom z.B. dient für eine breite Gruppe von Frauen als Mittel, mit dem die Beteiligung des Partners an der Verhütung gewährleistet werden kann und somit die Gleichstellung zwischen Männern und Frauen gefordert wird. Diesen impliziten Gründen für die eine oder andere Verhütung nachzugehen, sie zu akzeptieren und respektieren, erachte ich als wesentlich. Nicht primär mit dem Ziel, die Zahl der Abbrüche zu reduzieren, sondern um einen neuen Akzent im Diskurs über ungewollte Schwangerschaften anzuregen, der weder belehrt, bevormundet noch ein schlechtes Gewissen macht, sondern die Frau als eigenständige Person in ihren Wünschen, Vorstellungen, Bedürfnissen und in ihrer Fähigkeit, Entscheidungen für sich zu treffen, anerkennt.

BoudoirDelicious: Mag. Elisabeth Parzer, vielen Dank für diese informativen, interessanten und zum Teil erschreckenden Einsichten zum Thema Verhütung.

Die Geschichte der Verhütung in 6 Minuten


Veröffentlicht am
14. März 2018



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