Es gibt noch viel zu tun, wenn es um Emanzipation geht und es ist gut, dass wir die ganzen Empowerment-Diskussionen, Aktionen, Gruppen, Workshops etc. haben. Denn nur so wird es gesellschaftliche Veränderungen geben und auch den/die Letzte/n erreichen, die leider noch immer ausblenden, dass es enorme Defizite in dem Bereich gibt. Was mir allerdings immer wieder auffällt ist, dass oftmals Gleichberechtigung in Bezug auf die Gesellschaft thematisiert wird, sozusagen im Makrokosmos und dabei der Mikrokosmos außer Acht gelassen wird. Denn Emanzipation im Großen kann nur stattfinden, wenn sie auch im Kleinen gelebt wird. Mit klein meine ich den alltäglichen und individuellen Raum, wo emanzipatorische Ziele viel schneller umzusetzen sind. Wieder bewusst wurde mir das bei einem Dinner mit Kolleginnen. Es ging dabei um das Thema „Neue Restaurants ausprobieren“. Eine Kollegin meinte, dass sie das gerne mehr machen würde, aber weder ihr Partner noch ihre Freundinnen hätten dafür gerade Zeit. „Warum machst Du es dann nicht alleine? Ich gehe gerne alleine Essen, auch in der eigenen Stadt, und genieße es, für mich zu sein.“, sagte ich, worauf mit einem erstaunten „Echt?!”, „Das würde ich mich nicht trauen!”, „Das wäre mir unangenehm.“, „Dann denken die anderen Gäste, ich wäre eine einsame alte Jungfer!“ reagiert wurde. Das hat mich nachdenklich gestimmt. Es ist 2018 und Frauen fehlen immer noch der Mut, das Selbstbewusstsein und damit das Selbstverständnis, alleine in ein Restaurant zu gehen. Aber nicht nur das. Frauen machen sich auch immer noch von der Meinung anderer abhängig. Wenn das noch bei studierten, weit gereisten, beruflich etablierten Frauen der Fall ist, wie ist es dann bei Frauen, die zum Beispiel auf dem Land oder in familiären/gesellschaftlichen Strukturen leben, wo althergebrachte Rollenverteilungen oft an der Tagesordnung sind?
In diesem Fall sollten Frauen sich ein Beispiel an Männern nehmen. Als ich noch als Kellnerin gearbeitet habe, hatte ich oft Männer als Gäste, die alleine kamen, sich eine Flasche Wein zum Essen bestellten und es sich mit ihrer Zeitung gemütlich machten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie vorher zu Hause saßen und sich darüber Gedanken gemacht haben, was andere wohl von ihnen denken würden, wenn sie alleine im Restaurant saßen. Oder wenn sie in ihre Eckkneipe gehen, um bei einem Bier das Fußballspiel zu schauen. Warum auch? Ist ja nichts dabei, wenn man sich die Zeit mit sich selbst vertreibt, wo auch immer das sein mag. Das wird gesellschaftlich einfach nicht infrage gestellt und den Männern ist es egal, was andere darüber denken.
Bei Frauen sieht das meist noch anders aus. Das schickt sich nicht für eine Dame, alleine an der Bar zu sitzen, womöglich eine Zigarre zu rauchen und statt Hugo, einen Whiskey zu trinken. Das ist nicht weiblich. Wenn eine Frau das macht, dann ist sie auf der Suche, so eine vermännlichte Emanze oder eben eine Lesbe, die nicht darauf aus ist, in einer meist heterosexuell frequentierten Bar von einem Kerl aufgerissen zu werden. Dass sie einfach Freude an einem Drink hat und den in Ruhe genießen möchte und das nicht zu Hause, ist für viele noch so ungewohnt. So unnatürlich, dass sie bei einem Nein, wenn man ihre Einladung für einen Drink ablehnt, trotzdem nicht lockerlassen, weil „eine Frau wie Du, doch nicht alleine sein sollte.“ Wenn das nicht fruchtet, kann es auch etwas hitziger werden und dann kommen oben genannte Aussagen wie Lesbe etc. (Auch ein spannendes Thema, warum Männer auf weibliche Ablehnung aggressiv reagieren.)
Aber auch wenn Frauen wissen, dass andere verkrustete Denkmuster mit sich herumtragen, wird es Zeit, sich davon zu befreien, denn hier setzt Emanzipation im Mikrokosmos an. Es wird Zeit, dass sich Frauen von gesellschaftlichen Erwartungen, Definitionen (das ist nicht weiblich) und Normen frei machen und endlich alleine Dinge unternehmen. Es kostet Überwindung, das weiß ich nur allzu gut. Denn durch meine Arbeit als Journalistin bin ich öfters alleine auf Reisen, gerade wenn ich Hotels teste, und habe nicht immer eine Begleitung beim Lunch oder beim Abendessen. Das musste ich auch erst einmal lernen. Und da ging es nicht um einen Restaurantbesuch von zwei Stunden. Nein, ich habe Tage alleine verbracht, wo ich von Paaren und Familien umgeben war. Drei Mahlzeiten täglich alleine am Tisch. Das war anfänglich nicht schön und ich hätte am liebsten alles auf dem Zimmer gegessen. Aber ich habe solche Situationen als Herausforderungen akzeptiert, um an ihnen zu wachsen. Das Gefühl, welches man durch diese Freiheit erlangt, ist unbezahlbar und schenkt einem Selbstvertrauen und Sicherheit, dass man nicht auf Begleitung angewiesen ist.
Es muss nicht gleich der Besuch einer Bar sein. Zum Start geht einfach mal in Euer Lieblingsrestaurant. Dort kennt man Euch und es ist ein Heimspiel. Das wird Euch ein Gefühl von Sicherheit geben und Ihr könnt das Essen dann auch wirklich genießen, ohne Euch unwohl zu fühlen. Das ist am Anfang nicht einfach und ich empfehle, ein Buch mitzunehmen, um die Wartezeit zu überbrücken, bis das Essen kommt und für danach, wenn man noch etwas sitzen bleiben möchte. Das Handy ist natürlich auch ein guter Zeitvertreib. Damit es nicht sofort ersichtlich ist, dass Ihr alleine seid, lasst das zweite Gedeck nicht abräumen. Falls es Fragen gibt, einfach sagen, dass die Verabredung Verspätung hat. Dann wird in der Regel nicht noch einmal nachgefragt und Ihr habt Eure Ruhe und ein besseres Gefühl. Was hilft, ist sich nicht in die Mitte des Raumes zu setzen, sondern mit dem Rücken zu einer Wand, damit man sich nicht von allen Seiten beobachtet fühlt. Wenn Ihr die anfänglichen Hemmungen überwunden habt, dann macht es am meisten Spaß, sich so zu platzieren, damit man auch alles mitbekommt, was um einen herum passiert und man mitten im Geschehen ist. Wem ein Restaurantbesuch noch zu viel ist, dem empfehle ich das Kino, ein Konzert oder das Theater. Da ist es dunkel und keiner bekommt mit, dass man alleine ist. Und in der Pause kann mit im Saal sitzen bleiben oder die Zeit beim Schlangestehen für eine Erfrischung nutzen. Wenn man das ein paar Mal gemacht hat, ist alleine essen gehen eine nicht mehr so große Herausforderung. Immer daran denken, es ist ein Lernprozess und der dauert. Aber am Ende kann man stolz darauf sein, seine Komfortzone verlassen zu haben. So wie ich, als ich spontan alleine auf eine Afterparty einer Awardveranstaltung ging, wirklich niemanden kannte und erst am nächsten Morgen um 6 Uhr nach Hause ging und so intensiv wie schon lange nicht mehr getanzt habe. Strahle heute noch, wenn ich daran denke. Immer daran denken, step by step und nicht von anderen entmutigen lassen! Und vielleicht treffen wir uns dann mal zufällig an der Bar!
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